CERATIZIT-Gruppe

März 11, 2024

Nachhaltigkeitsmission: Der PCF sorgt für Transparenz

CERATIZIT hat im September 2023 das erste Modell zur Berechnung und Klassifizierung des Product Carbon Footprint (PCF) vorgestellt. Was es damit genau auf sich hat und warum es für die Hartmetall- und Zerspanungsbranche so wichtig ist, erzählen Andreas Kordwig (Director Global Product Management) und Christian Buschneg (Head of Sales and Product Management für Round Tool Materials) in einem Interview.
Sustainability mission: the PCF creates transparency

Andreas, du bist für die Branded Products der Division Cutting Tools zuständig. Welche Rolle spielt das Thema PCF für deine Arbeit und wofür steht das Ganze überhaupt?  

Der Product Carbon Footprint beschreibt die spezifischen Treibhausgasemissionen auf Produktlevel. Das kann man ausdrücken als Kilogramm CO₂-Äquivalent pro Kilogramm hergestelltes Produkt angeben. Mithilfe des PCFs klassifizieren wir jetzt unsere Produkte danach, wie viele CO₂-Emissionen ein bestimmtes Produkt verursacht hat. Und damit sind wir die ersten in der Branche und wollen Vorreiter sein.  

 

Wie war das vorher? Musste man seinen Corporate Carbon Footprint schätzen?  

Noch vor ein paar Jahren hat ein CCF niemanden interessiert. Man hat sich vielleicht als Unternehmen das Ziel gesetzt, gewisse Reduzierungen der eigenen Treibhausgase durchzuführen, aber wirklich konkret ist es eigentlich erst in den letzten Jahren geworden. Jetzt wird über das Thema Nachhaltigkeit diskutiert und es geht darum, entsprechende Nachweise zu liefern. Bis dahin war es kein wirkliches Thema, eine Wendeplatte, einen Stab oder einen Bohrer entsprechend zu klassifizieren. 

 

Christian, dein Aufgabenbereich umfasst den Vertrieb und das Produktmanagement von Hartmetallstäben. Mit den upGRADE-Stäben (Sorte CT-GS20Y) habt ihr das erste CERATIZIT-Produkt auf den Markt gebracht, bei dem konsequent auf einen niedrigen PCF hingearbeitet wurde. Wie ist es, wenn man im Unternehmen so eine Vorreiterrolle einnimmt? 

Als Vorreiter ist die Reise nicht immer so glattgebügelt wie bei konventionellen Projekten oder beim Daily Business. Wenn man als Pionier etwas komplett Neues auf den Markt bringt, kann der Weg schon recht holprig sein, aber es gibt auch eine ganz klare Lernkurve.  Den PCF gab es in unserer Branche bislang noch nicht. Unser Anspruch ist, dass wir wirklich einen Standard für den Markt entwickeln. Für mich hat es sowohl einen unternehmerischen als auch persönlichen Anreiz – und das ist wirklich spannend und hochinteressant für mich. 

Sustainability mission: the PCF creates transparency

Was ist denn eigentlich die Grundlage des PCF?

Die Datengrundlage zur Berechnung eines PCFs ist der Corporate Carbon Footprint (CCF). Dieser quantifiziert, wie viele Treibhausgasemissionen ein Unternehmen insgesamt verursacht hat. Dafür werden verschiedene Scopes unterschieden, welche beschreiben, woher genau die Emissionen der unternehmerischen Tätigkeit stammen.  Scope 1 beschreibt die direkten Emissionen eines Unternehmens. Das wäre z.B. das Verbrennen von Heizöl oder das Verbrennen von Gas. Scope 2 sind die indirekten Emissionen durch die zugekaufte Energie. Die große Unbekannte für die meisten Unternehmen ist Scope 3. Das umfasst alle Emissionen, die indirekt entstanden sind, z. B. durch Zulieferprodukte, Pendelverkehr der Mitarbeiter, Geschäftsreisen etc. Das sind alles sehr schwer greifbare und schwer zu berechnende Werte.  

Wie aufwendig ist es denn, diese ganzen Daten überhaupt zu erheben? Insbesondere Scope 3 erscheint unglaublich schwierig. 

Ja, diese Kalkulation ist schon recht komplex. Für den ersten Schritt, die Berechnung des CCFs, berechnet man im Prinzip die Summe der CO₂-Emissionen eines ganzen Unternehmens. Bei dieser Summe brauche ich nicht zu unterscheiden, in welcher Produktionslinie und für welches Produkt wie viel anfällt. Für den PCF muss ich natürlich viel tiefer ins Detail gehen. Ich muss unterscheiden können, aus welchem Material die Produkte gemacht sind, in welchen Produktionslinien welche Produkte laufen und ich muss natürlich auch messen, wie viel Energie und wie viele Betriebsmittel in der jeweiligen Produktionslinie verwendet werden. Bei den modernen ERP-Systemen kann man sich das im Grunde genommen wie eine zusätzliche Währung im System vorstellen. Wenn man eine Kostenkalkulation macht, laufen nebenher die Euros mit, beim Product Carbon Footprint habe ich dann eben auch „Kilogramm CO₂“ als Einheit und das wird parallel mitgerechnet.  

 

Inwiefern fließt das jetzt alles mit in den PCF ein?  

Im Prinzip ist der PCF nichts anderes als die Aufsummierung der einzelnen Carbon Footprints der beteiligten Produktionsstufen eines Produkts: d. h. der Carbon Footprint des Vormaterials + der Carbon Footprint des Rohlings + der Carbon Footprint der Finalisierung. Dabei werden pro Abschnitt die entsprechenden Scopes berücksichtigt. 

Wie kann man sich die Klassifizierung des PCFs vorstellen?

Das ist eine alphabetische Klassifizierung von aktuell A bis F. Die ehrgeizigste Klasse ist die Kategorie A mit 0 bis 5 Kilogramm CO₂-Emissionen pro hergestelltem Kilo Produkt, danach kommt die Klasse B mit 5 bis 15, danach 15 bis 25 und so weiter. Da fallen dann die Produkte je nach Ergebnis der Kalkulation rein. Spannend zu sehen ist auch, dass ein Rohling und das fertige Werkzeug, das aus ihm entsteht, nicht zwingend in der gleichen PCF-Klassifizierung landen, weil die Finalisierung eben ein recht emissionsstarker Produktionsprozess ist.  

Kann der Kunde anhand des spezifischen Produktwerts leicht zwischen den verschiedenen Herstellern vergleichen? 

Es wäre natürlich wünschenswert, dass alle in der Branche das gleiche System verwenden. Wir wollen zwar Vorreiter sein, aber am Ende des Tages können wir zusammen nur dann erfolgreich sein, wenn wir die gleiche Basis verwenden. Und das streben wir tatsächlich auch an – wir wollen einen Branchenstandard einführen und deswegen laden wir unsere Kunden, unsere Marktbegleiter und unsere Partnerfirmen ein, dabei mitzumachen und mit uns in Diskussion zu gehen und diese Idee weiterzuentwickeln. Und ja, wenn alle mitmachen, dann hätten wir auch eine Vergleichbarkeit. Da wartet noch viel Arbeit auf uns, keine Frage, aber ich glaube, wir sind schon auf einem guten Weg. Wir machen hier natürlich auch nichts, was wir uns im stillen Kämmerlein alleine ausgedacht haben, sondern wir handeln im Rahmen der ISO 14067. Dort ist klar geregelt, wie die Quantifizierung dieses PCFs und die Kommunikation in Richtung Kunde stattfinden muss.  

 

Wie reagieren die Kunden darauf? Sind die daran interessiert oder eher noch skeptisch? 

Komplett gemischt. Es gibt Kunden, die haben noch absolut keinen Bezug zu dem ganzen Thema. Die muss man erstmal dafür sensibilisieren und dafür gewinnen. Andere Kunden, meistens Zulieferer von namhaften Unternehmen der Großindustrie wie die Luftfahrt- oder Automobilindustrie, werden von ihren Endkunden bereits aufgefordert, diese Werte zu liefern. Die empfangen uns natürlich mit offenen Armen.  

Was hat denn der Kunde überhaupt für einen Nutzen? Gibt es einen wirklichen Need für den PCF?

Im Grunde genommen stehen unsere Kunden vor dem Problem, dass sie selbst ihren CCF nicht berechnen können. Sie brauchen unseren PCF-Wert, um ihn bei sich selbst in Scope 3 in die Berechnung miteinfließen zu lassen. Bevor sie also überhaupt anfangen können, Einsparungspotenziale zu erheben, brauchen sie die Information, wie viel CO₂-Emissionen die eingekauften Produkte verursacht haben. Der PCF ist so gesehen die Grundlage dafür, anschließend nachhaltigere Produkte am Markt einzuführen. Erst wird ein transparentes Berechnungsmodell benötigt, um diese ganzen Daten zu erfassen, und auf Basis dieser Daten können dann Entscheidungen getroffen werden, welche Produkte eingekauft werden sollen und welche lieber nicht. 

Wir stellen fest, dass insbesondere große Unternehmen, Key Accounts, uns heute schon nach diesen Werten fragen. Und wir sind sehr stolz, dass wir diese Werte in jetzt bieten können. Vermutlich wird nicht jeder Kunde danach fragen, es sei denn, es tut sich auch etwas auf der Gesetzgebungsseite, sodass Kunden entweder gezwungen sind diesen Nachweis zu bringen oder vielleicht einen steuerlichen Nutzen haben.  

Ganz sattelfest bin ich an der Stelle nicht, aber die CO₂-Steuer wäre da ein Thema. Wenn Produkte mit niedrigem PCF eingesetzt werden und zusätzlich Scope 1 und 2 reduziert werden, hat das natürlich Einfluss auf die CO₂-Emissionen und dementsprechend wären dann weniger Steuern zu zahlen. Das Werkzeug spielt vielleicht den geringsten Part im Gesamt-CCF, aber es zahlt darauf ein.  

Ich glaube, der PCF wird zukünftig ein gravierendes Entscheidungskriterium für Konsumenten sein und steuerliche Begünstigungen mit sich ziehen. Das heißt, dass Produkte zukünftig eine gewisse Mindestanforderung hinsichtlich der Treibhausgasemissionen erfüllen müssen.  

Ihr habt 2022 ein Produkt mit einem besonders niedrigen PCF herausgebracht. Was ist heute der niedrigste PCF bei CERATIZIT-Produkten?  

Die Produkte mit dem niedrigsten PCF fallen in die Kategorie A und gehören zum upGRADE-Portfolio. Die upGRADE-Produkte zeichnen sich aus durch die Verwendung von Vormaterial, welches zu mindestens 99% aus dem Zink-Recycling kommt. Dies führt zu einem sehr niedrigen PCF. In dem Portfolio haben wir bislang CT-GS20Y, ehemals Green Carbide, für die Stäbe für die Metallzerspanung und KLC20+ für Werkzeughersteller im Holzbereich.  

 

Diese upGRADE-Produktlinie hat also einen Footprint von weniger als 5 kg CO₂ pro Kilogramm Produkt. Gibt es da Vergleichszahlen von z. B. vor zehn Jahren, kann man eine prozentuale Einsparung festmachen? 

Das ist eine ganz spannende Frage. Vor zehn Jahren hat man zwar noch keine PCFs berechnet, aber aus der Literatur heraus hat man überschlagsmäßige Kalkulationen gemacht. Man kann davon ausgehen, dass diese upGRADE-Sorten bis zu 80 % weniger CO₂-Emissionen verursachen als konventionelles Hartmetall. Wir haben außerdem die Werte von bestimmten Produkten 2020 und 2022 verglichen und allein dadurch, dass wir in Scope 2 z. B. mittlerweile alle Standorte weltweit auf grünen Strom und erneuerbare Energien umgestellt haben, hat sich der PCF innerhalb von zwei Jahren zum Teil um 30 % und mehr verbessert.  

Man sieht also eine deutliche Entwicklung. Ein Produkt kann sich auch im Laufe der Zeit verbessern undhier sprechen wir nicht nur über upGRADE-Sorten. Auch bei Sorten, bei denen bisher noch nicht so viel recyceltes Material und Rezyklat zum Einsatz kommt, können wir durch solche Maßnahmen eine deutliche Verbesserung im Carbon Footprint erzielen. 

 

In zwei Jahren also um 30 % verbessert, so kann es weitergehen, oder?  

Auf alle Fälle. Wir haben uns als Unternehmen auch das Ziel gesetzt, bis 2040 Net Zero zu erreichen. Das bedeutet, dass wir unsere Emissionen in allen drei Scopes um 90 % reduzieren. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Produkte. Langfristig werden so immer mehr Produkte unter upGRADE fallen und einen sehr niedrigen Footprint aufweisen. Und das ist eigentlich auch unser Ziel: dass wir von Haus aus sehr emissionsarme Produkte anbieten können und alle unsere bestehenden Sorten dieser Norm entsprechen und entsprechend hergestellt werden können.  

Sind denn Qualität und Leistung dieser upGRADE-Sorten vergleichbar mit den Premium-Sorten? 

Definitiv. Die upGRADE-Sorten durchlaufen die gleichen Qualitätskontrollen und Voraussetzungen wie die anderen Sorten auch. Wenn wir etwas Neues bringen, dann muss das innerhalb der Qualitätsgrenzen sein. Wir haben das letztes Jahr z. B. mit unserem HPC Fräser mit Silverline-Geometrie auch schon bewiesen. Wir kommen in einigen Bereichen auf mehr Performance als das Originalprodukt, wir reden hier also über ganz enge Grenzen zum Äquivalent einer Sorte, die nicht upGRADE entspricht. Wir sind uns unserer Verantwortung sehr bewusst und testen viel, bevor wir eine neue Sorte oder ein neues Werkzeug freigeben. 

Dieses Interview erschien erstmals als Podcast Folge 063 im CERATIZIT Innovation Podcast und wurde für diesen Blog vereinfacht und leicht angepasst.