November 20, 2023
Sieht man das Gebäude von außen, könnte man auf den ersten Blick glauben, es handele sich um ein neues Hotel. Eine schön gestaltete Holzfassade, große Fenster, in denen sich die umliegende Berglandschaft spiegelt und viel Natur drum herum. Doch was zunächst wirkt wie ein Wellnessresort, hat in Wahrheit eine andere Funktion: Es ist eine Fertigungshalle von CERATIZIT. Unter der sich über den Raum ziehenden Holzdecke stehen Maschinen und Mitarbeiter eilen umher. Die Halle im Kreckelmoos ist die neueste Produktionsstätte der Plansee Group und in ihrer Bauweise auch die innovativste. Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit standen bei der Planung im Fokus.
Der Bau energieeffizienter Produktionsgebäude wie dem im Kreckelmoos unterstützt den Weg der Plansee Group, den CO2-Fußabdruck des Unternehmens (Corporate Carbon Footprint, CCF) nachhaltig zu senken. Das wiederum senkt auch den Product Carbon Footprint (PCF) der Produkte von Plansee und CERATIZIT. Der PCF gibt die Menge an Treibhausgasen an, die bei der Herstellung eines Produkts beziehungsweise pro Kilogramm Produkt ausgestoßen werden. Dazu hat CERATIZIT als erstes Unternehmen in der Branche ein Modell zur Berechnung und Klassifizierung des PCF seiner Hartmetallprodukte vorgelegt. Das Modell zur Berechnung wurde von Anfang an für beide Unternehmen entwickelt. CERATIZIT möchte Kunden, Partner und andere Unternehmen ermutigen, den neu entwickelten Standard zu übernehmen – für mehr Transparenz innerhalb der Branche. Bei CERATIZIT und Plansee umfasst die Berechnung des PCF alle Prozesse von der Gewinnung der Rohstoffe, der Herstellung der Halbzeuge/Rohlinge und des fertigen Produkts und den Transport der Rohstoffe und Zwischenprodukte bis zu dem Punkt, an dem das Produkt das Unternehmen verlässt (Cradle-to-Gate – „von der Wiege bis zum Werkstor“). So baut Plansee HLW seine Position als Innovations- und Entwicklungspartner für seine Kunden auf diesem Gebiet weiter aus und CERATIZIT rückt seinem Ziel näher, Vorreiter der Branche in Sachen Nachhaltigkeit zu sein.
Vor gut sechs Jahren begann die Geschichte des Neubaus unter der Prämisse, am Standort in Reutte noch weiter zu wachsen. Doch wo? Nach intensiver Flächensuche fand man einen passenden Baugrund an der B179 auf einer ehemaligen Deponie. Der Breitenwanger Ortsteil Kreckelmoos ist nur einen Kilometer Luftlinie vom Hauptstandort in Reutte entfernt und mittels eines Güterwegs mit ihm verbunden. Auf die Planungs- und Konzeptionsphase folgte die Ausschreibung und letztlich der Baubeginn 2019, als die ersten Bagger anrollten. ATP architekten ingenieure realisierte die Fertigungshalle im Kreckelmoos mit vorrangig regionalen Partnern aus Tirol. Der Einzug startete im Januar 2023 und soll noch bis in die zweite Jahreshälfte 2024 andauern.
Im Werk Kreckelmoos produziert CERATIZIT verschiedene Werkzeuge aus Hartmetall. Die Schwesterfirma Plansee fertigt Beschichtungswerkstoffe für Displays, Elektroden für die Glasschmelze und Bauteile für die Halbleiterindustrie und die Medizintechnik. Ergänzt wird der Maschinenpark durch modernste Automatisierungslösungen.
Die Kühlung für das Gebäude erfolgt über das offene, kanalisierte Breitenwanger Gewässer „Ritsche“, unterirdisches Hangwasser in Rohrleitungen und primär über zwei Wärmepumpen im Sockelgeschoß, welche in einem eigens dafür vorgesehenen Maschinenraum installiert wurden. Um einen künstlichen Rückstau des Grund- und Hangwassers zu verhindern und das anfallende Wasser zu sammeln und abzuleiten, wurden beim Bau von Kreckelmoos Drainageleitungen unter dem Fundament angelegt. Das Wasser wird zur thermischen Nutzung aus den beiden Wasserquellen entnommen und anschließend zurück in die Ritsche eingeleitet. Das restliche anfallende Drainagewasser wird in ein naheliegendes Biotop eingeleitet und dieses somit wiederbelebt. Vom Frühling bis in den Spätsommer erfolgt die Kühlung des Gebäudes größtenteils direkt über die thermische Nutzung der beiden Wasserquellen. In den Wintermonaten wird die benötigte Maschinenkühlung über die Wärmepumpen erzeugt und gleichzeitig die Abwärme für die Heizung genutzt.
Wärmepumpen ziehen Energie aus der Luft, dem Erdboden oder Wasser und machen die daraus gewonnene Wärme für die Heizung nutzbar. Das Prinzip gleicht dem eines Kühlschranks. Er entzieht seinem Innenraum Wärme und leitet sie nach außen, um das Innere zu kühlen. Die Wärmepumpe kehrt dieses Prinzip um. Eine Wärmepumpe kann – wie der Kühlschrank – aber auch als Klimaanlage fungieren. Im Kreckelmoos werden beide Funktionen genutzt.
Die Beheizung des dreigeschossigen Gebäudes, das etwa so groß ist wie zwei Fußballfelder, erfolgt über Wärmepumpen, die Nutzung der Abwärme der Druckluftkompressoren sowie Wärmerückgewinnung bei der Kühlung der Kühlschmiermittel.
Bei letzterem Verfahren wird das Kühlschmiermittel gekühlt und die dabei anfallende Abwärme durch die Wärmepumpen auf ein höheres Temperaturniveau angehoben und für die Beheizung verwendet. Eventuell überschüssige Abwärme wird wieder an die Umgebungsluft abgeführt. Die Wärmepumpen werden über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit Strom versorgt. Bei unzureichender Stromversorgung über die Photovoltaikanlage werden die Wärmepumpen über das Stromnetz betrieben. Das bedeutet, dass der Neubau bei optimalen Verhältnissen zu 100 Prozent autarke Heiz- und Kühlenergie erzeugt. So wird quasi ohne fossile Brennstoffe geheizt bzw. gekühlt. In den Produktionshallen sorgen eine Lüftung, Umluftgeräte an der Decke sowie freihängende Induktionsdurchlässe für das optimale Raumklima.
Neben der Außenbegrünung mit widerstandsfähigen heimischen Pflanzen wurde auch das Dach der Produktionshalle in den Fokus von Revitalisierungsmaßnahmen genommen. Auf einer Fläche von 15.000 Quadratmetern ist es begrünt. Der Vorteil: Das Grün am Dach hilft bei der Verbesserung des Mikroklimas, denn es senkt die Umgebungstemperatur und verhindert somit die Entstehung von Hitzeinseln. Dies sorgt für ein ideales Raumklima im Inneren, sodass weniger Energie für die Klimatisierung benötigt wird. Zum anderen dient die Begrünung des Daches als natürlicher Schutz vor Niederschlägen, was zu einer längeren Lebensdauer der Dachabdichtung und somit zu einer Reduzierung der Wartungs- und Reparaturkosten führt. Außerdem ist die Vegetation ein natürlicher Retentionsfilter bei Niederschlag: Bei Starkregen wird das Wasser durch die Pflanzen und den speziellen Dachaufbau zurückgehalten und verzögert an die Dachentwässerung abgeleitet. Somit wird die öffentliche Regenwasserableitung entlastet und Überflutungen vorgebeugt.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Living Metals vom Oktober 2023, „Wie wir gemeinsam Stärken stärken“ und wurde leicht adaptiert.